Mit spitzer Feder …
Können Sie sich an jene kindlichen Gefühlsachterbahn aus Spannung, Vorfreude und Aufregung, als wir noch an den Weihnachtsmann oder den Osterhasen glaubten, erinnern? Vielleicht an den Duft von frisch gebackenen Guetzli oder den überwältigenden Anblick eines prächtigen Osternästlis im Garten? Irgendwann wussten wir, dass es den Weihnachtsmann und auch den Osterhasen nicht gibt, und das hat sich damals wie ein Verlust angefühlt. Der Zauber, den wir für wahr und unumstösslich gehalten hatten, war plötzlich verflogen. Unser Kinderglaube erschüttert! Und jetzt als Erwachsene denke ich oft über (meinen) Glauben nach. Folgende Frage geht mir dabei nicht aus dem Kopf: Ist dem Glauben wirklich mit der Unwiderlegbarkeit von Beweisen beizukommen? Wohnt nicht viel mehr dem Glauben selbst eine eigene Kraft inne, die der rationale Verstand nie erreichen kann? Nur wer glauben kann, hat Hoffnung, dass sich etwas zum Guten wendet. Dass Menschen, über sich hinauswachen können, auch wenn alles dagegenspricht. Dass es Beständigkeit in der Liebe geben kann, auch wenn viele Beziehungen scheitern. Dass wir mehr erreichen können, als wir vielleicht denken. Wissen allein kann die Welt und die Menschen lediglich so abbilden, wie sie gerade sind. Doch nur der Glaube zeigt uns, was daraus werden kann.
Vielleicht glauben wir nicht mehr uneingeschränkt an Wunder und ganz sicher nicht mehr an den Weihnachtsmann. Doch entscheidend ist in Wahrheit nur, dass wir den Glauben an uns selbst nie verlieren – und an die Menschen, die uns alles bedeuten. Denn das eigentliche Wunder besteht doch darin, dass wir die menschlichste aller Fähigkeiten besitzen – glauben zu können. Auch die Weihnachts- und Passionsgeschichte bestärkt uns – egal welcher Konfession – jedes Jahr von Neuem an ein Wunder zu glauben. Und auf die aktuelle Situation angepasst, ist der Glaube, gemeinsam diese Pandemie durchzustehen und zu hoffen, dass wieder «normale» Zeiten kommen werden, die einzig konstruktive Kraft und Energie, die uns sicher aus dieser Bredouille navigiert.
Ein persönliches Wunder zu erleben, ist ein ganz besonderes Geschenk des Lebens – jedoch selber an einem Wunder beteiligt zu sein und jemanden so zu beglücken, ist etwas unglaublich Schönes und Befriedigendes. Es macht einfach nur glücklich, dankbar und demütig unserem Universum gegenüber. Kürzlich erlebte ich einen solchen raren Glückmoment: Ich reiste in der 1. Klasse von Bern nach Zofingen. Neben mir im Abteil war ein Natel liegen geblieben. Keiner der anderen Fahrgäste kümmerte sich darum. Eine Frau stellte sogar noch achtlos ihre Tasche darauf. Für mich war sofort klar: Dieses teure Gerät muss möglichst schnell zu seinem Besitzer zurück und ich würde dafür Sorgen. Ich konnte es mir genau vorstellen, mit welchen Adrenalinschüben und Verzweiflung der Besitzer wohl bereits kämpfen musste, weil er seinen steten digitalen Begleiter verloren hatte und sich nun unvollständig fühlte. Jedenfalls schnappte ich mir – sehr zum Erstaunen der anderen Fahrgäste – das Smartphone beim Aussteigen. Bauchgefühl und Verstand sagten mir, früher oder später würde der Besitzer anrufen. Es ging nicht lange und meine Intuition bewahrheitet sich. Ich deponierte das Natel am Bankschalter und der überaus glückliche Besitzer holte es am nächsten Tag ab. Darauf schrieb er mir ein wundervolles SMS und bedankte sich ausführlich für meine nicht selbstverständliche Tat der Nächstenliebe. Es sei ein äusserst teures Gerät mit wichtigen Daten, und es sei für ihn ein wahres Wunder, dass er sein Natel unbeschädigt wieder in den Händen halte. Er könne es fast nicht glauben, dass es noch solche Menschen gäbe. «Sie haben das Unmögliche möglich gemacht!» Er glaubte wohl nicht an ein Wunder und wurde nun so wunderbar vom Universum überrascht und eines Besseren belehrt. Vor allem glaubte er nicht an eine ehrliche Finderin – was in Anbetracht der Entwicklung der heutigen Gesellschaft für mich nur zu gut nachvollziehbar ist. Für mich war es eine Freude und Selbstverständlichkeit, zu helfen und ein «Wunder» zu ermöglichen.
In diesem Sinne – liebe Leserinnen und Leser – wünsche ich Ihnen eine Zeit voller Wunder. Mögen ihre Träume in Erfüllung gehen – glauben sie in kindlicher Art und Weise fest daran und Sie werden überrascht. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und holen Sie Ihr inneres Kind zurück. Ich wünsche Ihnen viele solche unbeschwerte und zauberhafte Momente für das Neue Jahr.
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin